Meldeaktion "Spinne des Monats November 2024": Nosferatu-Spinne
Im November bräuchte es vielleicht gar keinen Meldeaufruf, denn die gesuchte Spinne ist aktuell ohnehin Spitzenreiter in den Spinnenbegegnungen, wenn man von Anfragen bei Experten und Beobachtungsmeldungen ausgeht oder auch von Pressemeldungen über Spinnen in der Umgebung des Menschen.
Denn immer wieder wird über große Spinnen berichtet, die unvermittelt in der Wohnung auftauchen.
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Jeden Monat ruft der ARBEITSKREIS SPINNEN alle Naturinteressierten auf, nach einer ausgewählten, gut zu erkennenden Spinnenart zu suchen und die Beobachtungen im Artenfinder RLP zu melden. So hoffen wir, deutlich mehr Informationen zur Spinnenfauna unserer Heimat zu bekommen.
Diese Spinnen sind sehr oft Kräuseljagdspinnen Zoropsis spinimana - viel besser bekannt unter dem Namen "Nosferatu-Spinne". Irgendjemand hatte die Zeichnung auf dem Vorderkörper der Spinne mit dem Gesicht des gleichnamigen Vampirs aus dem Gruselfilm von 1922 "Nosferatu - Symphonie des Grauens" verglichen - und fertig war der Aufsehen erregende Name für ein ganz sicher nicht bedrohliches, aber sehr interessantes Tier.
Zoropsis spinimana ist eine kräftige, große Spinne: Weibchen erreichen bis 19 mm, Männchen bis 13 mm Körperlänge und haben kräftige, behaarte Laufbeine, was sie massig erscheinen lässt. Männchen sind langbeiniger, aber auch dünner. Der Vorderkörper beider Geschlechter trägt die "Vampir-Zeichnung" und der kräftige Hinterleib ein dunkles Mittelband im Vorderteil (1 & 2).
Zoropsis spinimana baut kein Fangnetz. Sie ist ein nachtaktiver Lauerjäger und sitzt bewegungslos in einem Versteck und wartet auf vorbeilaufende Beute, in der Regel Insekten, die sie über ihre Sinneshaare an den Beinen und den recht guten Sehsinn wahrnimmt und blitzschnell ergreift, wenn das Insekt nah genug herangelaufen ist. Die Kräuseljagdspinne ist ein effektiver Insektenjäger und dadurch ein "nützlicher" Mitbewohner des Menschen. Ohnehin wird man sie nur selten zu Gesicht bekommen.
Ihr Versteck in Spalten und Ritzen umhüllt die "Nosferatu-Spinne" mit sehr typisch blau schimmernder Spinnseidenwolle, die aus den feinsten Einzelfäden in der Natur besteht, die mit ihrer Kräuselwolle allem haften, was sie berührt. Hier legen die Weibchen nach der Paarung im Spätherbst (3) ihre 1-3 Kokons mit 20-50 Eiern ab (4). Diese werden vom Weibchen bewacht und bei Störung energisch verteidigt. Nur in solchen Situationen könnte die "Nosferatu-Spinne" auch einen Menschen beißen - maximal mit der Wirkung eines Mücken- oder Wespenstichs. Die Jungen schlüpfen im Laufe des Winters und entwickeln sich in ca. 8 Monaten zur erwachsenen Spinne.
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Soweit wäre Zoropsis spinimana vielleicht gar keine besondere Spinnenart, für die man einen Meldeaufruf starten würde. Absolut bemerkenswert ist aber ihre Verbreitungsgeschichte als "Reisender" in Zeiten des Klimawandels.
Tatsächlich war Zoropsis spinimana bis in die 1990er Jahre nördlich der Alpen gar nicht bekannt. Sie war bis dahin eine Art, die im westlichen Mittelmeergebiet an Felsen, Baumstämmen und Häusern zu finden war. Ihre enorme Kletterfähigkeit durch ausgeprägte Hafthaarpolster an den Beinen machte sie zur perfekten Gebäudebewohnerin - schon in ihrem mediterranen Herkunftsraum. 1994 wurde sie dann erstmals für die Schweiz nachgewiesen, 1997 dann in Österreich - in beiden Fällen in Nähe der Nord-Süd-Verkehrsachsen Gotthart und Brennerautobahn. Verschleppung durch den Menschen scheint hier die wahrscheinlichste Ursache. Der erste Nachweis in Deutschland folgte erst 2005 in Freiburg. Danach begann eine geradezu rasante Ausbreitung entlang des Rheintals und anderer Verkehrswege. Begünstigt durch die milden Winter im sich wandelnden Klima und die optimalen wintergeschützen Bedingungen in unseren Gebäuden konnten sehr bald Nachweise am Niederrhein, Köln, Hamburg und Berlin, ja 2012 in den Niederlanden und bald darauf in Südengland erbracht werden. Dabei kommen neben den zahlreichen Nachweisen aus Gebäuden vermehrt Nachweise aus Gärten und gebäudenahen Lebensräumen hinzu. Vielleicht übersteht die Kräuseljagdspinne mittlerweile auch milde Winter im Außenbereich. Mittlerweile kommt die "Nosferatu-Spinne" wohl in ganz Mitteleuropa und sogar in USA vor - auf den ersten Blick eine Erfolgsgeschichte dieser offenbar anpassungsfähigen Art. Allerdings ist unklar, wie sich eine solch rasante Ausbreitung auf die Populationen anderer, angestammter Spinnenarten auswirkt, die wir aus unseren Gebäuden kennen. So scheint die altbekannte und angestammte Hauswinkelspinne Eratigena atrica eher im Rückgang begriffen. Wird sie von Nosferatu verdrängt? Wir werden ihrer Verbreitung durch unseren Meldeaufruf im Dezember nachgehen.
Weitere Informationen: https://wiki.arages.de/index.php?title=Zoropsis spinimana
Bildquellen: (1-4): W. Braunstein