Der Botanische Arbeitskreis Nahe-Hunsrück - ein Unikum innerhalb der POLLICHIA
In der POLLICHIA-Homepage sucht man unter „Arbeitskreise“ und „Botanik“ vergeblich, wenn man etwas über diesen Arbeitskreis erfahren möchte, obwohl er gerade sein 50jähriges Bestehen gefeiert hat. Nur auf dem Umweg über „Orts-/Kreisgruppen“ und „Kreisgruppe Bad Kreuznach“ kann man ihm auf die Spur kommen.
Das hängt mit seiner besonderen Geschichte zusammen. Bei seiner Gründung im Jahr 1959 hatte er nämlich mit der POLLICHIA nicht das geringste zu tun. Er ist vielmehr ein Kind der Erwachsenenbildung, die damals in der kulturellen Aufbruchsstimmung der Nachkriegszeit eine Blütezeit erlebte und sich großzügiger finanzieller und ideeller Förderung erfreute.
Wenige Jahre zuvor war die Ruine des ehemals wild- und rheingräflichen Schlosses Dhaun bei Kirn an der Nahe von einem kommunalen Zweckverband aus Privathand erworben worden. Um den von den Vorbesitzern wiederaufgebauten Trakt einer öffentlichen Nutzung zuzuführen, wurde auf Betreiben des Kommunalpolitikers Wilhelm Dröscher eine Heimvolkshochschule ins Leben gerufen und das Schloss-Gebäude zu einer Tagungs- und Übernachtungsstätte umgebaut. Dröscher, wegen seiner Bürgernähe auch „der gute Mensch von Kirn genannt“ engagierte als Geschäftsführer der Heimvolkshochschule den Volksschullehrer Kurt Cullmann, den er als Kriegskameraden kennen und schätzen gelernt hatte. Cullmann war naturkundlich interessiert und verfolgte das Ziel, den in der Erwachsenenbildung etwas vernachlässigten naturwissenschaftlichen Sektor stärker zur Geltung zu bringen.
Zu diesem Zweck rief er im Jahr 1959 alle ihm bekannten Hobby-Naturforscher aus der Umgebung von Kirn zu einer Arbeitstagung zusammen. Das war die Geburtsstunde des „Botanischen Mitarbeiterkreises“ wie er sich damals nannte. Der Name entspricht nicht der Zusammensetzung des Kreises, denn es waren neben Botanikern ebenso viele Faunisten und ein Geologe beteiligt. Die Botanik sollte jedoch Schwerpunkt der Betätigung werden. Was die berufliche Herkunft betrifft, überrascht es nicht, dass die Lehrer dominierten. Es gehörten jedoch auch ein Schuhmachermeister (Eduard Peitz, 1915-1986, Orchideenspezialist), ein Kfz-Mechaniker und ein Edelsteinhändler dazu.
Neben Exkursionen, Tagungen und Pressearbeit nahm man auch praktische Aufgaben in Angriff. Zum Beispiel die Beschilderung des Baumbestandes im Dhauner Schlosspark, Bestandsaufnahmen der Flora schutzwürdiger Flächen und die Pflege derselben. Insofern hatte der Arbeitskreis auch den Charakter einer Bürgerinitiative.
Niemand hätte wohl damals vorauszusagen gewagt, dass er noch bis ins nächste Jahrhundert hinein existieren würde. Seine lange Lebensdauer hat mehrere Gründe. Da ist zum einen die familiäre Atmosphäre, die Kurt Cullmann der Gruppe dank seines stets ausgeglichenen, freundlichen Wesens verlieh und die auch nach seinem Tod trotz erheblicher Fluktuation der Mitglieder erhalten blieb. Auf Cullmann geht auch das erfolgreiche Grundkonzept zurück, die Erwartungen sowohl naturliebender Laien ohne wissenschaftliche Ambitionen als auch die von Freizeit-Botanikern mit tiefergehenden Interessen zu erfülllen.
Ein weiterer entscheidender Faktor war das Hinzukommen von Aktiven, welche das Spektrum der Angebote sowohl räumlich als inhaltlich ausweiteten.
In erster Linie ist Prof. Dr. Günter Preuß zu nennen. Er stieß 1962 zum Arbeitskreis hinzu und führte ab 1963 ein jährliches mehrtägiges Winterseminar durch, bei dem bestimmte Gruppen von Lebewesen mikroskopisch untersucht und durch Unterrichtsmedien aus dem Schul- und Hochschulbereich vorgestellt wurden. Was Preuß aus seinem biologiedidaktischen Fundus hervorzauberte, war schier unerschöpflich. Es verwundert deshalb nicht, dass die Seminare auch als Fortbildungsveranstaltungen bei Lehrern gefragt waren.
Schon vorhandene Ansätze zu einer mehrtägigen Sommerexkursion pro Jahr baute Preuß aus und machte sie zu einem der beliebtesten Programmpunkte des Arbeitskreises. Ziele waren bedeutsame Naturräume in Deutschland, hauptsächlich im Mittelgebirgsraum, jedoch auch im benachbarten Ausland. Die Nachfrage war so groß, dass in mehreren Jahren die Exkursion zweimal hintereinander angeboten werden musste.
Auch Alfred Blaufuß (1912-1995) prägte den Arbeitskreis, indem er sich für die floristische Kartierung des Nahegebietes und Rheinhessens stark machte. Es gelang ihm, innerhalb des Arbeitskreises eine kleine Gruppe zu etablieren, die systematisch Fundmeldungen von Farn- und Samenpflanzen zusammentrug. Die Arbeit fand ihre Krönung in der „Flora des Nahegebietes und Rheinhessens“ von Alfred Blaufuß und Hans Reichert, die mit einem Umfang von 1064 Seiten als Pollichia-Buch Nr. 26 im Jahr 1992 erschien.
Theodor Schauder (1915-1986) forcierte die Naturschutzbemühungen. Seinen Interessen kam entgegen, dass Prof. Preuß als damaliger Leiter der Naturschutzstelle bei der Obersten Naturschutzbehörde dem Arbeitskreis Aufträge der Landesregierung zur Bestandsaufnahme schutzwürdiger Flächen zukommen ließ. Die Bestandsaufnahmen sollten die Ausweisung von Naturschutzgebieten begründen. Heute würde man Planungsbüros für Landschaftspflege mit solchen Projekten betrauen. Diese waren damals noch nicht in ausreichender Zahl verfügbar. So erstellte der Arbeitskreis in den Jahren 1968 bis 1979 nicht weniger als 15 bis zu 200 Seiten starke Gutachten. Dabei kam ihm das breit gestreute Wissen seiner Mitglieder von der Geologie über die Geomorphologie, Faunistik und Floristik bis hin zur Heimatgeschichte zugute. 8 der Gutachten bewirkten in den Jahren danach die Ausweisung von Naturschutzgebieten, zum Beispiel des NSG Ringberg bei Schweinschied und des NSG Maasberg bei Bad Sobernheim.
Wie aber kam der Arbeitskreis zur POLLICHIA? Das geschah erst in den 90er Jahren. Damals neigte sich das Wirtschaftwunder seinem Ende zu, und die staatlichen Finanzmittel für die Erwachsenenbildung wurden mehr und mehr gekürzt. Das hatte zur Folge, dass für die Tagungen auf Schloss Dhaun, die einst großzügig subventioniert wurden, immer höhere Gebühren bezahlt werden mussten. Der Arbeitskreis beschloss deshalb schweren Herzens, sich von seiner bisherigen Tagungsstätte trotz ihren unvergleichlichen Flairs und ihrer botanisch äußerst reichhaltigen Umgebung zu lösen.
Maßgebend für die neue Standortwahl war, dass sich nach dem Tode Kurt Cullmanns im Jahr 1986 an der Leitung des Arbeitskreises Personen beteiligten, die zugleich die Kreisgruppe Bad Kreuznach der POLLCHIA aus der Taufe hoben: Jost Didlaukies und Günter Wrusch. Dadurch wuchsen die POLLICHIA-Kreisgruppe und der Botanische Arbeitskreis immer mehr zusammen, und die Exkursionen und Tagungen wurden weitgehend gemeinsam veranstaltet. Tagungsort wurde das Private Paul-Schneider-Gymnasium der Evangelischen Landeskirche Rheinland in Meisenheim. Das bot sich an, weil sowohl Jost Didlaukies und Günter Wrusch in Meisenheim wohnen und Günter Wrusch zudem Lehrer des Gymnasiums war. So konnte es auch organisatorisch verkraftet werden, dass der neue Leiter des Arbeitskreises, Dr. Hans Reichert, weitab in Trier seinen Wohnsitz hat.
Dennoch muss man besorgt in die Zukunft des Arbeitskreises blicken. Vor allem deshalb, weil sowohl sein Leitungsteam als auch die meisten Mitglieder inzwischen Senioren sind und die erwünschte Verjüngung nur in sehr geringem Maße stattfindet. Vorallem ist niemand in Sicht, der zu gegebener Zeit die Leitung des Arbeitskreises übernehmen möchte. Nur bei den Führern der Tagesexkursionen ist die Verjüngung gelungen. Hans-Jürgen Dechent (Saulheim), Thomas Merz (Weiler bei Bingen) und andere erfreuen sich wegen ihres mit pädagogischem Geschick verbundenen Sachwissens großer Beliebtheit. Dennoch kommt es wegen der Überalterung der Mitglieder auch bei den Tagesexkursionen immer öfters zu einer Verminderung der Teilnehmerzahl auf einige wenige Personen. Vortragsveranstaltungen mussten mangels Beteiligung mittlerweile auf zwei im Jahr reduziert werden, und das mehrtägige Winterseminar wurde aufgegeben. Unverminderte Nachfrage besteht weiterhin nach der mehrtägigen Sommerexkursion, die seit 2005 von Otto Schmidt und Hans Reichert geleitet wird.
Es wäre schade, wenn der Arbeitskreis, der sich nach der Loslösung von Schloss Dhaun das Attribut „Nahe-Hunsrück“ zugelegt hat, eines Tages sanft entschlafen würde.
Hier noch ein wenig Statistik für die Zeit von 1959 bis heute.
Artikel von Dr. Hans Reichert, Trier